Danke für eure Kommentare und Nachfragen zur Episode 27 über den Jumbo-Absturz in Nairobi im Jahr 1974. Wir haben einige eure Reaktionen an unseren Pilotenexperten Dirk Lehmann weitergeleitet. Hier sind seine Antworten.
Eine Frage ist für mich offen geblieben. Hat sich durch die Kopplung der Vorflügelstellungssensoren an das ‚take off configuration warning System‘ in den nächsten Jahren bestätigt, dass das Problem häufig auftrat?
Da fehlen mir leider jegliche Daten. Dennoch hat man einiges geändert. In meinen 5 Jahren auf der 747-200 hatte ich das Problem nicht ein einziges Mal. Entscheidend ist m.E., dass das Anlassverfahren dahingehend geändert wurde, dass die Zapfluft (bleed air) während des Anlassens nicht mehr abgeschaltet wurde, sondern nur die Hauptverbraucher, nämlich die Klimaanlage (air conditioning packs). Die Zapfluftventile (spätestens auf dem -200er) wurden dahingehend geändert, dass das Betätigen des Starter-Schalters einen umgedrehten Luftfluß aus dem Gesamtrohrleitungssystem zuliess (damit der Startmotor Luft zum Andrehen des Triebwerks bekommt), ansonsten aber den reverse flow nicht mehr zulässt. Damit entfiel die Notwendigkeit zum Schliessen der Zapfluftschalter und diese Fehlerquelle konnte eliminiert werden zusätzlich zur Warnung beim Setzen des Start-Schubes, wenn die Vorflügel nicht ausgefahren sind.
Vermisst habe ich die Frage nach dem Flugdatenschreiber und welche Lufttemperaturen geherrscht haben, die so wichtig für die TWs -und Auftriebsleistung sind?
Hier bin ich mir nicht sicher, worauf die Frage abzielt. Vor jedem Start wurde und wird eine Startdatenberechnung durchgeführt, in die Startbahnlänge, Hindernissituation, Lufttemperatur, Luftdruck, Wind, Klappenstellung, ggf. Niederschlag, bleed-Konfiguration, usw. eingeht. Hierüber ermittelt man das maximale Startgewicht und die benötigte TW-Leistung. Dies geschieht heute per Computerprogramm, früher mit großen Tabellenbüchern. Mir ist nicht bekannt, dass die Unfalluntersucher an der Berechnung des Unfallfluges etwas auszusetzen hatten, hier war alles korrekt. Nur wenn die aktuelle Konfiguration des Flugzeugs nicht der Berechnung entspricht, ist das alles hinfällig – mit eingefahrenen Vorflügeln darf man nicht starten.
Schön wäre noch gewesen, die deutsche Bezeichnung der leading edge flaps, nämlich Krügerklappen, zu bringen und diese als einfachere Konstruktion zu den Vorflügeln (slats) abzugrenzen.
Die 747 hat an jedem Flügel 3 Sektionen mit leading edge flaps, inboard, midspan und outboard. Die inboard-Sektion sind Krüger leading edge flaps, die beiden anderen variable camber leading edge flaps. Diese variable camber leading edge flaps werden mithilfe einer Mechanik aus einer ebenen, auf der Flügelunterseite anliegenden Platte in eine gerundete Flügelnasenfom gedrückt. Hierbei entsteht zum Hauptflügel noch einer kleiner Spalt, durch den Luft strömen und die Luftströmung quasi mit Energie anreichern kann.
Die Krüger leading edge flaps sind in der Bauart etwas einfacher und klappen aus der Flügelunterseite formmäßig ziemlich unverändert mit Ausnahme einer kleinen ausklappenden Nase nach vorne und erhöhen die Wölbung und Flügelfläche. Warum macht Boeing das so? Vermutlich weil einfacher in diesem Fall ausreichend, billiger und weniger fehleranfällig ist. Verbaut sind beide Bauarten und zum Start komplett ausgefahren.
Wäre es sinnvoll gewesen, das Fahrwerk NICHT einzufahren?
Schwer zu sagen – gemäß Unfallbericht ist der Einfluß vernachlässigbar. Es ist richtig, dass sich große Tore öffnen, wenn das Fahrwerk eingefahren wird, um die nötigen Öffnungen freizugeben. Ist das Fahrwerk allerdings erstmal eingefahren, hat man den Widerstand signifikant verringert. Möglicherweise wäre es retrospektiv betrachtet, besser gewesen, das Fahrwerk draussen zu lassen, um einen Crash besser abzufedern. Allerdings war das Fahrwerk zum Zeitpunkt der Bodenberührung noch garnicht richtig vollständig eingefahren, da hierzu notwenige Zusatzhydraulikpumpen Zapfluft benötigen – die ja, wie wir wissen, möglicherweise nicht zur Verfügung stand.
Aber auch hier muß man berücksichtigen, dass die Crew zu einer richtigen Analyse gar keine Zeit hatte – sie waren gerade mal 38 Sekunden in der Luft, also deutlich weniger als ich gebraucht habe, um diese Zeilen zu schreiben. Sie waren mit einer Situation konfrontiert, die sie nie gesehen oder trainiert hatten und haben in der Kürze der Zeit sicherlich ihr Bestes gegeben.
Das Beitragsbild zu diesem Artikel hat Ken Fielding aufgenommen. https://www.flickr.com/photos/kenfielding, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32279127
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